Bedingungsloses Grundeinkommen – Sozialexperiment bereits 1974

1974 beschloss die damals linksliberale kanadische Regierung, im beschaulichen Dauphin das revolutionäre Mincome-Experiment zu starten: Etwa 1000 Familien wurden über einen Zeitraum von fünf Jahren finanziell unterstützt – allerdings nicht mit fixen Beträgen wie in den heute propagierten Modellen üblich, sondern abhängig vom vorherigen Einkommen. Wer jetzt mit Arbeitslosengeld und Ähnlichem gegenhalten möchte, vergisst dabei, dass Mincome nicht nur jedem offenstand, sondern auch einen grundsätzlich positiven Ansatz verfolgte: Jeder verdiente Dollar ließ das Grundeinkommen lediglich um 50 Cent sinken, während zusätzlich verdientes Geld in unseren gängigen Sozialhilfeprogrammen regelrecht "bestraft" wird.

So weit also die Theorie, doch wie sehen die Ergebnisse aus? Die verschwanden für viele Jahrzehnte in der Versenkung, weil die große Ölkrise Mitte der 70er auch Kanada voll erwischte und die Regierung mit massiver Rezession und einer gewaltigen Arbeitslosenquote erstmal anderweitig beschäftigt war. Das Dauphin-Experiment wurde 1979 sang- und klanglos eingestellt, 2000 Kartons voller Akten verschwanden in einem staubigen Archiv.

2011 veröffentlichte Evelyn Forget – von der Öffentlichkeit größtenteils unbeachtet – erste Ergebnisse: „Die Teilnehmer mussten seltener zum Arzt – vor allem die Besuche aufgrund psychischer Beschwerden gingen zurück. Außerdem entschieden sich mehr Teenager dafür, die 12. Klasse zu besuchen“, heißt es in der Studie mit dem wohlklingenden Namen „Die Stadt ohne Armut“.

Forget stellt darin fest, dass die sichere Einkommensquelle positive Nebeneffekte hatte, mit denen zuvor keiner gerechnet hatte: Dauphin verzeichnete einen Rückgang der Krankenhausaufenthalte um 8,5 Prozent sowie ein Absinken der Scheidungsraten. Das neue Gefühl der Sicherheit trug also anscheinend entscheidend zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden der Teilnehmer bei und senkte ganz nebenbei die Kosten des Gesundheitssystems.
Der Arbeitsmarkt selbst brach – wie vorher befürchtet – nicht zusammen, im Gegenteil: Das umfangreiche Datenmaterial zeigt, dass einige der Testpersonen Geld in Anschaffungen wie Autos oder Schreibmaschinen steckten, die ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem freien Markt erhöhten, während andere ihre neugewonnene Fähigkeit zum Konsum nutzten, um ihr Leben zu verschönern – und damit wiederum den Einzelhandel in der Stadt stärkten. Ein Leistungsabfall war lediglich bei Müttern mit kleinen Kindern und Teenagern zu verzeichnen – zuvor hatten beide Gruppen in der strukturschwachen Region häufig mit anpacken müssen, um die Familie durchzubringen. Das Grundeinkommen kurbelte also eine sich selbst befeuernde Aufwärtsspirale an, die sogar über den Kreis der Teilnehmer des Experiments hinausging: „Aufgrund eines sozialen Multiplikators erhöhte sich die Zahl der erfolgreichen Schulabschlüsse in ganz Dauphin“, schreibt Forget in ihrer Studie.

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